 
    EAN: 9783910815049
 
                  Bilder-Quelle: averdo
      Da war also dieser amerikanische Autor mit dem nicht nur Deutsch klingenden  sondern auch Deutsch geschriebenen Namen: Vollmann. William T. Vollmann - wobei mich das T mit dem Punkt nicht weiter interessieren muss: eine amerikanische Marotte.  Und da war Alexander Simon  der Agent. Kein Geheim-  sondern nur ein literarischer Agent  aber solche Leute können einem Autor helfen  an einen Verlag zu kommen - nicht immer  und Simon hatte sich jahrelang darum bemüht  vergeblich bemüht  für meine SPEEDY einen Verlag zu finden. Und also fragte ich ihn  ob er noch einen anderen Autor vertritt  bei dem es ihm vergleichbar schwer fiel  für ihn einen Verlag zu finden. Und Simon nannte mir den Namen Vollmann. Der jedoch gerade einen dicken Roman beim Suhrkamp-Verlag veröffentlicht hatte  Europe Central  ein auch mich dann beeindruckendes Buch. Aber wie lange hatte das gedauert  Jahre  und dieser Vollmann  er war doch schon vorsortiert  er veröffentlichte in den USA ein Buch nach dem anderen  er hatte alle möglichen Preise eingeheimst  und er hatte diesen Fanclub in Amerika  der der Meinung war  Mr. Vollmann hätte doch mal langsam den Nobelpreis für Literatur verdient - na  solche Leute sind mir doch eher suspekt.  Und Vollmann  so erzählte es mir Simon  hatte in allen möglichen odd Jobs gearbeitet  auch bei einer Versicherungsgesellschaft  und das machte ihn mir schon mal sympathisch  da ich doch auch seltsame Dinge in meinem Leben getan hatte  seltsam nach den Maßstäben des Literaturbetriebs: Elektriker Reinigungskraft  Verfassungsrichter  Berater im Bundestag. Und Vollmann hatte mit Reportagen begonnen  er war ein Abenteurer  er hatte Reportagen über Afghanistan  Kambodscha  Somalia  Irak geschrieben  und auch das musste mir gefallen  wenn da ein Autor noch ein anderes Leben hat  eines außerhalb des nur Literatur produzierenden Gewerbes. Vollmann hatte eine Reportage über Prostituierte in New Orleans geschrieben und dabei bemerkt  viele von ihnen sind Transvestiten  und sich dann gedacht  das könnte ich doch auch mal probieren  um mich besser in diese Menschen hineindenken zu können  er hatte sich eine weibliche Identität geschaffen: Dolores. Simon zeigte mir das Buch  mit Fotos von sich als Dolores  dass Vollmann veröffentlicht hatte: ein Mann  der keine Chance hat  jemals als Frau durchzugehen - noch etwas  um mich mit ihm verbunden zu fühlen.  Freunde & Friends - ein Verlag  der die Bücher herausbringen will  mit denen sich andere Verlage schwertun  entweder  weil sie ihnen zu aufwendig sind  zu teuer  zu wenig Gewinn versprechen  oder weil sie zu feige dafür sind  Ärger vermeiden  lieber auf Nummer Sicher gehen wollen.  Gegründet im September 2022. Natürlich ein mäzenatisches Unternehmen  anders geht's gar nicht. Anders sind auch die Vollmann-Wälzer gar nicht herauszubringen. Ich bin nicht der  der das nötige Geld vorlegt  ich bin der  der es ausgibt  der Leiter des Verlages. Und also frage ich Simon  von welchem Buch von Vollmann  von dem es noch keine deutsche Ausgabe beim Suhrkamp-Verlag gibt  sollte es eine geben. Seine Antwort: Carbon Ideologies. In der amerikanischen Ausgabe zwei dicke Bände  für das Schwergewicht Suhrkamp ein zu schwerer Brocken. Gut  Freunde & Friends übernimmt. Was ist das für ein Buch? Ein langer Essay  Reportagen  ein Bisschen auch so etwas wie ein Sachbuch. Vollmann sucht Orte auf  die mit der Förderung von Kohle und Erdöl verbunden sind  er berichtet von den Menschen  die dort leben  versucht ihre Denkweise zu verstehen. Ein wichtiges Thema. Auch der Bericht über mehrere Besuche von Vollmann in der Sperrzone von Fukushima.  Freunde & Friends übernimmt.  Wir nennen das Buch Ideologien des Brennstoffzeitalters  das ist im deutschen Zusammenhang vielleicht verständlicher. Allein die Einführung ist über 200 Seiten lang. Also machen wir daraus einen eigenen Band. Aus den zwei Bänden der amerikanischen Originalausgabe werden bei Freunde & Friends drei Bände. In der Ausgabe von Viking  dem amerikanischen Verlag von Vollmann  überzeugen uns Typographie  Layout und Cover nicht. Eine Herausforderung auch die Fotos  von Vollmann während seiner Reisen aufgenommen. In der Originalausgabe so platziert  dass man sie kaum ansieht. Die meisten Fotos übersieht man einfach  weil man mit dem Lesen beschäftigt ist.  Beim Lesen  da geht die Bewegungsrichtung immer von links nach rechts und springt dann auf die nächste Zeile  und wieder geht es von links nach rechts. Ein Bild ansehen  auch Fotos also  da hält der Blick inne  er konzentriert sich  er begibt sich in das Bild hinein und bewegt sich dann in ihm  den Linien und ihren Richtungen folgend zu den Details. Und deshalb sind Bilder und Fotos in einem Buch zum Lesen so schwer zu platzieren. Der Leser muss sich aufgefordert fühlen  zum Betrachter zu werden  bevor er dann weiterliest. Es muss einen Augenblick des Innehaltens geben.  Was also mit den Fotos im Buch von Vollmann machen? Ihre Anzahl auf ein paar wenige reduzieren  sie so  zum Beispiel jeweils vor dem Beginn eines Kapitels platzieren  dann eine ganze Seite füllend  für den Leser ein Augenblick des Innehaltens? Wir glaubten erst  dies wäre der Weg  den wir einschlagen sollten. Dann das Problem der technischen Qualität der Fotos: liegt's am Papier? Sicher liegt es auch am Papier. Wir werden sehr viel besseres Papier verwenden als der amerikanische Verlag. Papier von Fedrigoni  diese italienische Firma  mit der wir uns verbunden haben. Liegt's an den Druckvorlagen  an der geringen technischen Qualität der Fotodateien? Oder an den Fotoaufnahmen von Vollmann selber? Vollmann fotografiert  aber er ist kein professioneller Fotograf. Er ist ein Amateur  ein Knipser  der während seiner Reportagen Fotos macht  vielleicht nur als Erinnerungsstützen.  Und dann bekamen wir  via Simon  einen Stick aus Sacramento  California  USA  von Vollmann. Mit den Fotodateien. Robert Haselbach  unser Designer und einiges mehr  ohne den Freunde & Friends nicht so gute Bücher machen könnte  steckte den Stick in unseren Computer  er fand mehrere Datei-Ordner. Er schaute sich die ersten Fotos daraufhin an  ob sie überhaupt als Druckvorlagen etwas taugen. Gut. Sie schienen technisch gut genug. Große Erleichterung. Dann aber: Es waren das sehr viel mehr Fotos auf diesem Stick als es sie in den beiden Bänden der Carbon Ideologies gab. Insgesamt mehr als 3000 Stück. Alle die Fotos  die Vollmann bei seinen Recherche-Reisen für das Projekt gemacht hatte. Wir gingen alle Ordner durch  versuchten uns einen Überblick zu verschaffen. Und dann?  Wir staunen nicht schlecht. Wir staunen immer mehr. Wirklich erstaunlich gute Fotos. Dieser Mann  Vollmann  hat ein Auge. Sagt man so. Man weiß dann schon  was damit gemeint ist. Auch das: dass dem  der so ein Auge hat  gar nicht bewusst sein muss  ein Auge zu haben. Diesen Blick. Diesen Sinn für die Bildkomposition. Ein Gefühl für das Optische  das zum Interesse für das Motiv hinzukommt. Besonders erstaunlich bei jemanden  der auf Reisen ist  der eine Recherche betreibt  mit vielen Menschen redet  sich Notizen macht und dann mal eben auch noch ein Foto. Spontan  wahrscheinlich ohne die Zeit dazu zu haben  da ein gutes Foto hinkriegen zu wollen. Wahrscheinlich nebenbei aufgenommen  auf die Schnelle  und genau dabei zeigt es sich dann  diese Begabung  der Blick  das Auge.  Aber es ist das mehr als nur eine ganze Menge Fotos  guter Fotos  starker Fotos. Es ist dann eine ganze Welt  die sich für den Betrachter der Fotos auftut. Die Welt von Vollmann. Die von uns selber  auch wenn wir sie selbst nicht gesehen  sie nicht aufgesucht haben  vielleicht vor ihr eher die Augen verschließen wollten. Aber was ist das für eine Welt? Eine Welt  bei deren Betrachtung sich die Frage aufdrängt: Was für eine Welt haben wir uns da geschaffen und zugelassen? In was für einer Welt leben wir  müssen wir leben  überleben? Und dann diese Gesichter  diese Menschen  Täter und Opfer  Schuldige und Mitschuldige  wie sie uns ansehen. Alles Menschen. Fast so etwas wie die Family of Men  die von dem Fotografen Edward Streichen in den 50er Jahren im New Yorker Museum of Modern Art zusammengebracht wurde. Und Vollmann hat sie alle getroffen. Gesehen. Und dann fotografiert.  Wir ahnen bald: Wir müssen mehr aus diesen Fotos machen. Sie sind zu gut. Sie brauchen ihren eigenen Band. Man muss sie ungestört von einem Text betrachten können. Es lohnt sich. Dann sind Entscheidungen zu treffen: Hoch- oder Breitformat? Breitformat  auch wenn es uns vor die Herausforderung stellt  wie ein Foto-Buch mit den drei Text-Bänden zusammenbekommen. Wie die Themenbereiche  die Orte auch  an denen Vollmann fotografiert hat  in eine Reihenfolge bringen? Welche der Fotos auswählen? Wie sie in den Kapiteln  die sich ergeben  hintereinander anordnen? Und am Schluss die Doppelseiten: welche zwei Fotos jeweils miteinander zusammenbringen  so  dass sie sich gegenüberstehen  sich ergänzen oder einen Kontrast bilden? Und während wir uns mit all diesen Fragen beschäftigen  entdecken wir immer wieder neue Fotos. Fotos  die wir bisher übersehen hatten. Fotos  die aber dennoch unbedingt mit ins Buch sollten. Dann das Cover  der Umschlag  der das Foto-Buch zu einem Teil des vierbändigen Konvoluts der Ideologien des Brennstoffzeitalters macht  sich trotzdem natürlich auch unterscheiden muss. Die Bindung: die Schweizer Broschur  weil sich bei ihr die Seiten so plan aufschlagen lassen. Die Entscheidung für das Duplex-Druckverfahren  Schwarz und ein Grau dazu  wo es doch soviel sehr tiefes Schwarz in den Fotos von Vollmann gibt  so viele Grautöne aber auch. Nur nicht nachrechnen  was uns das Ganze gekostet haben wird. Augen auf und durch. Wir haben einen Fotografen entdeckt. Jedenfalls für uns  und deshalb warten wir nicht mit diesem Fotobuch bis die anderen drei Bände fertig sind.  Vielleicht  Vielleicht sind die Fotos von Vollmann ja so gut  weil er ein Amateur ist  kein professioneller Fotograf. Weil er nur fotografiert und kein Fotograf sein will. Denn dieses: etwas sein wollen  es tut den Künstlern nicht gut  und den Fotografen schon gar nicht  es verbraucht soviel Kraft: statt einfach machen  etwas sein wollen. Womöglich auch das noch: Karriere machen. Als Fotograf. Und auch das noch: als Fotograf  wo es doch so viele Fotografen gibt  die sich abstrampeln  um als Fotografen anerkannt zu werden  eine so große Konkurrenz. Der ganze Krampf  sich irgendwie aus der Masse der vielen Fotografen hervortun zu wollen  wo doch das Fotografieren so leicht geworden ist. Einfach auf den Auslöser drücken  den Rest erledigt die Elektronik. Vollmann scheint sich um all dies nicht zu kümmern  ihn plagen keine Nebengründe  er drückt einfach ab  das Motiv ist ihm Grund genug. Ihn bekümmert dann auch nicht  wie diese Fotos vergrößern  sie aufziehen  sie in einem Rahmen präsentieren  sie vielleicht sogar verkaufen  wie eine Fotogalerie finden  die ihn vertritt  ihn als Fotografen berühmt macht. Die Dateien abzuspeichern  ist ihm genug. Und vielleicht  aber nur vielleicht  denn es gibt ja doch sehr viele gute Fotografen  ist das ja so  dass dann eben doch der Fotograf  der kein Fotograf sein will  sondern einfach nur Fotos macht  die richtig guten Fotos machen kann. So wie Vollmann.  Florian Havemann  Oktober 2024
        
                  
          Produktinformationen zuletzt aktualisiert am
01.11.2025 um 00:24 Uhr
          
          
      01.11.2025 um 00:24 Uhr
Hersteller
-
          EAN
9783910815049
          MPN
-
          ASIN
3910815049
          Produktgruppe
Fachbücher, Lernen &
          
                      
                    
                          
          
       
        